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Offener Brief

An die Landesregierung und Kommunale Spitzenverbände in Schleswig-Holstein

zum Flüchtlingsgipfel am 16. Februar

Dem Bedarf an Einwanderung gerecht werden und aus den Fehlern der Vergangenheit lernen.

 

Wir sind besorgt!

Allenthalben gefallen sich einige Vertreter*innen der EU- und Bundespolitik darin, über das Martyrium der Menschen in repressiven Staaten wie Iran oder Russland, in den Erdbeben-geschüttelten Gebieten der Türkei und Syriens oder über die Kriegsgewalt innerhalb und außerhalb Europas öffentlich demonstratives Bedauern zu äußern.

Gleichzeitig verbreiten Teile der Politik aktuell einen Alarmismus, der Schutz und Überleben suchende Menschen – insbesondere aus Drittstaaten – als Belastung abstempelt, regelmäßig gesellschaftliche Überforderung behauptet und der Öffentlichkeit unrealisierbare Rückführungsoffensiven verspricht.

Vor diesem Hintergrund begrüßt der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein den für den 16. Februar zwischen Bund, Ländern und Kommunen geplanten Flüchtlingsgipfel als eine Gelegenheit, eingedenk offenkundiger zuwanderungspolitischer Bedarfslagen zu Augenmaß und flüchtlingspolitischer Vernunft zurückzukehren.

Denn wir brauchen Zuwanderung. Wir schaffen das. Wir haben Platz.

Die unterzeichnenden Organisationen rufen die Landesregierung Schleswig-Holstein und die Kommunalen Spitzenverbände dazu auf, beim Flüchtlingsgipfel für eine nachhaltige, vom Prinzip der Gleichbehandlung und von Empathie gegenüber den Schutzsuchenden gekennzeichnete Aufnahme- und Integrationspolitik einzutreten.

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Doch Geflüchtete müssen monatelang auf Behördentermine und -bescheide warten. Solange bekommen sie z.B. keine Aufenthaltserlaubnis, keine Verlängerung der Arbeitserlaubnis, keine Verlängerung der Duldung. Aufgrund der Wartezeiten gehen – auch zulasten der Wirtschaft – Jobs und Ausbildungsplätze verloren oder Mietverträge platzen. In der Folge werden auch so ambitionierte politische Vorhaben, wie die Einbürgerungsoffensive oder die Fachkräfteeinwanderung zur Makulatur. Wir appellieren an den Flüchtlingsgipfel, die Voraussetzungen für eine Perspektiven schaffende, von Gleichbehandlung und Chancengerechtigkeit gekennzeichnete Politik und ausländerbehördliche Verwaltungspraxis[1][1] zu schaffen. Erste Schritte zu diesem Ziel sind:

  • Gewährleistung des regelmäßigen analogen und digitalen Zugangs zu Ausländerbehörden
  • Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes
  • Umwandlung des Stichtags-belasteten und befristeten Chancen-Aufenthaltsrechts zu einer regelmäßigen gesetzlichen Bleiberechtsregelung für alle
  • Abschaffung ausländeramtlicher Beschäftigungserlaubnisse
  • Regelförderung für migrationsspezifische Integrationsnetzwerke
  • Regelförderung für behördenunabhängige Verfahrens- und Rechtsberatung für Geflüchtete

Ehrenamtlich engagierte Bürgerinnen und Bürger sind regelmäßig diejenigen, die eine fehlgeleitete Flüchtlingspolitik kompensieren müssen. Ein Abbau bürokratischer Hürden würde auch dazu führen, dass wieder mehr bürgerschaftlich engagierte Menschen sich die Unterstützung von Schutzsuchenden zumuten würden.

Bei der Unterbringung rufen wir zur Abkehr vom Verwaltungsprinzip „warm-sauber-trocken“ auf und fordern die Gewährleistung von Wohnbedingungen, die für Krieg, Verfolgung und anderen Überlebensnöten entkommene Frauen, Männer und Kinder ein integrationsfreundliches und angstfreies Lebensumfeld schaffen. Zielführend dazu wären:

  • die Abschaffung der Wohnverpflichtung[2][2]
  • ein Verteilungssystem, das die Bedürfnisse von Schutzsuchenden und die Ressourcen in den jeweiligen Kommunen besser berücksichtigt[3][3]
  • die regelmäßige Unterbringung in privaten Wohnungen, anstatt Gemeinschaftsunterkünften
  • die konsequente Umsetzung von Schutzkonzepten für Frauen, Mädchen und andere vulnerable Gruppen unter den Geflüchteten rund um die Uhr
  • lückenlose digitale Versorgung mit WLAN und Endgeräten in Gemeinschaftsunterkünften

Anstatt in den Chor nationaler und europäischer Abschottungs- und Externalisierungspolitik einzustimmen, fordern wir die Landesregierung auf, von Bund und den Ländern eine proaktive, dem grundrechtlichen Schutzversprechen gerecht werdende Aufnahme- und Bleibepolitik sowie Außenamtspraxis einzufordern. Zielführende Instrumente auf diesem Wege wären z.B.:

  • erleichterte Visavergaben für Verfolgte aus Afghanistan, dem Iran und der Türkei
  • Beschleunigung der Visaerteilung beim Familiennachzug
  • Angehörigen-Aufnahmeprogramme für Erdbebenopfer aus der Türkei und Syrien anstatt nur kurzfristiger Besuchsmöglichkeiten
  • Landesaufnahmeprogramme für Frauen aus Afghanistan
  • ein Türkei-Abschiebungsstopp
  • Asyl für alle Deserteure
  • Abschiebungsschutz für Familien, Kranke und Traumatisierte
  • die Abschaffung der Abschiebungshaft

Neben der Aufnahme von Geflüchteten aus Kriegs- und Krisengebieten stehen Bundes- und Länderregierungen, Kommunen und die Gesellschaft in Deutschland vor der Herausforderung, dem Bedarf an Einwanderung gerecht zu werden, hierfür die strukturellen Voraussetzungen zu schaffen und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.

 

Unterzeichnende