Eine Info vom GGUA
„Liebe Kolleg*innen,
in mindestens 60 Eilbeschlüssen haben die Sozialgerichte mittlerweile die Unzulässigkeit des Leistungsausschlusses gem. § 1 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG (Dublin-Fälle) festgestellt. Hier ist die aktualisierte Übersicht: https://www.ggua.de/fileadmin/downloads/tabellen_und_uebersichten/Dublin_AsylbLG-Ausschluss.pdf.
Man kann insofern mittlerweile von einer gefestigten Rechtsprechung der Sozialgerichte – jedenfalls in Eilverfahren – sprechen. Es dürfte noch viele weitere Beschlüsse geben, die noch nicht bekannt geworden sind. Wenn ihr welche habt, schickt sie gern!
Hinzu kommen eine Reihe von Beschlüssen zur Unzulässigkeit des Ausschlusses gem. § 1 Abs. 4 Nr. 1 AsylbLG (Anerkannten-Fälle), die in dieser Übersicht nicht enthalten sind.
Von folgenden Sozialgerichten sind mir positive Beschlüsse zu § 1 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG bekannt:
Hessen: Kassel, Darmstadt, Gießen, Marburg; Sachsen: Leipzig, Dresden; Rheinland-Pfalz: Speyer, Trier
Sachsen-Anhalt: Magdeburg; Niedersachsen-Bremen: Landessozialgericht; Baden-Württemberg: Karlsruhe
Bayern: Landshut; Hamburg
Die ungleiche Verteilung unter den Bundesländern und die Tatsache, dass es aus einigen Bundesländern gar keine Entscheidungen gibt, spricht dafür, dass die Anwendung des Leistungsausschlusses gem. § 1 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG von Ländern und Kommunen unterschiedlich gehandhabt wird. Offenbar wenden manche Länder, wie etwa Hessen, den Ausschluss nahezu flächendeckend und exzessiv an. In anderen Bundesländern scheint das anders zu sein. Es kann natürlich auch daran liegen, dass die Betroffenen nicht dagegen vorgehen, es wenig Beratungsangebote und anwaltliche Unterstützung gibt, oder dass die Entscheidungen schlicht nicht bekannt sind.
Die Sozialgerichte begründen die Unzulässigkeit des Leistungsausschlusses überwiegend aus folgenden Gründen:
- Voraussichtlich verfassungswidrig (Verletzung des menschenwürdigen Existenzminimums gem. Art. 1 und 20 GG)
- Voraussichtlich unionsrechtswidrig (Verletzung von Art. 20 Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU) Dieser Artikel gilt auch für Dublin-Fälle. Die Sozialgerichte verweisen oft auf den Vorlagebeschluss des BSG an den EuGH B 8 AY 6/23 R, nach dem selbst Leistungskürzungen möglicherweise unionsrechtswidrig sein könnten. Für einen Leistungsausschluss gälte das dann erst Recht.
- Möglichkeit der freiwilligen, selbstbestimmten Ausreise ist ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung, aber im Dublin-Verfahren nicht möglich
- BAMF hat Möglichkeit der freiwilligen Ausreise nicht oder nur formal festgestellt.
- Formale Voraussetzungen nicht erfüllt (keine vorherige Anhörung, keine ausreichende Begründung, keine ausreichende Ermessensausübung hinsichtlich der Rücknahme des alten Bewilligungsbescheids gem. § 45 SGB X).
Womit sich die Gerichte bislang nicht auseinander gesetzt haben (weil sie den Leistungsausschluss per se für unzulässig erklären, so dass diese Fragen bislang nicht relevant waren):
- Was ist, wenn die neue Aufnahmerichtlinie 2024/1346 (eventuell vorzeitig) in Kraft tritt? Art. 21 dieser neuen Richtlinie bestimmt, dass man nur in dem Staat Anspruch auf die materiellen Leistungen hat, in dem man sich gem. der Verordnung 2024/1351 (AMM-VO) aufzuhalten hat. Aber selbst wenn die neue Aufnahmerichtlinie vorzeitig umgesetzt würde, würde die AMM-VO dennoch erst ab Juli 2026 gelten. Die Folge ist: Bis dahin gibt es keinen Staat, in dem man sich „gem. AMM-VO“ aufzuhalten hat (siehe https://verfassungsblog.de/auf-konfrontationskurs-mit-dem-eugh/).
- Was ist mit der Mindestvoraussetzung, immer einen Lebensstandard gewährleisten zu müssen, der nicht die EU-Grundrechtecharta verletzt („Bett, Brot, Seife“)? Dies muss auch nach der neuen Aufnahmerichtlinie garantiert werden.
- Was ist mit besonders schutzbedürftigen Personen, wie etwa Kindern?
- Was ist mit der gesundheitlichen Versorgung, die gem. Art. 22 der neuen Aufnahmerichtlinie immer gewährleistet werden muss, auch wenn man sich im „falschen“ Mitgliedsstaat aufhält?
Spätestens in den Hauptsacheverfahren bzw. wenn die neue AMM-VO in Kraft getreten sein wird, dürften diese Fragen auf den Tisch kommen.
Die Diakonie Hessen hat im Juni 2025 übrigens eine sehr gute Arbeitshilfe dazu veröffentlicht, wie man sich gegen den Leistungsausschluss wehren kann: Kein Bett, kein Brot, keine Seife? Streichung der Sozialleistungen für Personen im Dublin-Verfahren gem. § 1 Abs. 4 AsylbLG.“
Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e. V.