BSG: Obligatorische Anschlussversicherung gem. § 188 Abs. 4 SGB V trotz AsylbLG-Grundleistungen
Das Bundessozialgericht hat am 10. März 2022 ein nicht unwichtiges Urteil zum Thema Krankenversicherung gefällt, das Personen betrifft, die Grundleistungen nach § 3 / 4 AsylbLG erhalten:
- BSG, Urteil B 1 KR 30/20 R vom 10. März 2022 (https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/171678)
Im Kern ging es dabei um die Frage, ob Personen, die aus einer Pflicht- oder Familienversicherung ausscheiden (z. B. weil eine versicherungspflichtige Beschäftigung endet), anschließend über die obligatorische Anschlussversicherung (OAV) gem. § 188 Abs. 4 SGB V weiterhin gesetzlich versichert bleiben, oder ob die Absicherung im Krankheitsfall dann wieder nur über § 4 AsylbLG geht.
Das BSG hat entschieden, dass trotz Anspruchs auf Grundleistungen nach § 3 / 4 AsylbLG die obligatorische Anschlussversicherung gem. § 188 Abs. 4 SGB V greift: Die Betroffenen bleiben demnach gesetzlich versichert und das Sozialamt trägt die Kosten für den Krankenkassenbeitrag. Ein Austritt aus der gesetzlichen Versicherung ist nicht möglich, da die Absicherung im Krankheitsfall über § 4 AsylbLG keine gleichwertige Absicherung im Krankheitsfall darstellt:
„Die Vorschrift erkennt die eingeschränkten Leistungen nach § 4 AsylbLG nur im Rahmen der Auffang-Pflichtversicherung gemäß § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall an. Im Rahmen der obligatorischen Anschlussversicherung gilt dies nicht. Eingeschränkte Leistungen nach § 4 AsylbLG stellen keine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall iS des § 188 Abs 4 Satz 3 SGB V dar. Eine entsprechende Anwendung des § 5 Abs 11 Satz 3 SGB V im Rahmen des § 188 Abs 4 Satz 3 SGB V ist aufgrund entgegenstehender Regelungszwecke beider Vorschriften und des Fehlens einer unbewussten Regelungslücke ausgeschlossen.“
Etwas anderes gilt allerdings, wenn Personen nach Ausscheiden aus der Pflicht- oder Familienversicherung (nahtlos bzw. spätestens innerhalb eines Monats des nachwirkenden Versicherungsschutzes nach § 19 Abs. 2 SGB V) Leistungen nach § 2 AsylbLG oder SGB XII erhalten: In diesem Fall besteht eine gleichwertige anderweitige Absicherung im Krankheitsfall, so dass die Obligatorische Anschlussversicherung nicht greift.
NRW: Abschiebungsstopp Iran bis 7. April 2023 verlängert
Das MKJFGFI NRW hat den formellen Abschiebungsstopp für Iran mit Erlass von heute (5. Januar) bis zum 7. April 2023 verlängert:
https://www.ggua.de/fileadmin/downloads/erlasse230105_MKJFGFI_Verlaengerung_Abschiebestopp_Iran.pdf
Sozialrechtliche Ansprüche mit „Chancen-Aufenthaltsrecht“ (§ 104c AufenthG)
Mit dem „Chancen-Aufenthaltsrecht“, das am 31.12. in Kraft getreten ist, wird mit § 104c AufenthG eine neue Aufenthaltserlaubnis eingeführt, die geduldete Personen erhalten sollen, die am 31. Oktober 2022 seit fünf Jahren in Deutschland gelebt haben. Mit Erteilung der Aufenthaltserlaubnis werden sich für die Personen auch in sozialrechtlicher Hinsicht erhebliche Änderungen ergeben: Es besteht – anders als zuvor mit der Duldung – Zugang zum SGB II statt AsylbLG, jede Erwerbstätigkeit ist erlaubt, es entsteht in aller Regel eine Pflichtmitgliedschaft in der Gesetzlichen Krankenversicherung, Anspruch auf Kindergeld, Kinderzuschlag usw.
Hier gibt es eine Übersicht zu den sozialrechtlichen Ansprüchen mit der neuen Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG: https://www.ggua.de/fileadmin/downloads/Chancen-Aufenthaltsrecht/104c.pdf
AsylbLG-Sätze 2023 im Bundesgesetzblatt
Die ab 2023 geltenden Sätze des AsylbLG sind heute im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl122s2601.pdf%27%5D__1671796994113
IMK Beschlüsse aus Dezember 2022 online
Die Beschlüsse der Innenministerkonferenz des Bundes und der Länder (IMK) vom 02.12.2022 in München sind jetzt online:
Verlängerung der UkraineAufenthÜV – Einreise bis 31.05.2023
Eine Info der GGUA (Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e. V.)
Die Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung wurde kurz vor Auslaufen durch Verordnung vom 28. November 2022 nochmal bis zum 31. Mai 2023 verlängert. Somit sind nun bis zum 31.05.2023 weiterhin alle Ausländer, die sich am 24.02.2022 in der Ukraine aufgehalten haben für einen Zeitraum von 90 Tagen ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Einreise in das Bundesgebiet vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit.
Siehe Veröffentlichung im Bundesanzeiger vom 30. November:
https://www.bundesanzeiger.de/pub/de/amtliche-veroeffentlichung?3
hier die aktuelle Fassung:
https://www.gesetze-im-internet.de/ukraineaufenth_v/BJNR606700022.html
„Chancen-Aufenthaltsrecht“ und „Bürger*innengeld“: Lesefassungen der Gesetzesänderungen
Die „Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e. V.“ informiert:
„Die Kolleg*innen von Tacheles e.V. haben mit großem Arbeitsaufwand Lesefassungen der vollständigen Gesetzestexte zum SGB II und SGB XII mit den zum 1. Januar bzw. 1. Juli 2023 in Kraft tretenden Änderungen erstellt: https://www.tacheles-sozialhilfe.de/aktuelles/archiv/sgb-ii-gesetzestext-lesefassung-zu-den-sgb-ii-aenderungen.html
Und unsere Kollegin Kirsten Eichler hat eine Lesefassung der Gesetzesänderungen im AufenthG durch das „Chancen-Aufenthaltsrecht“ erarbeitet: https://www.ggua.de/fileadmin/downloads/tabellen_und_uebersichten/Arbeitshilfe_Aufenthaltsrecht_Chancen-Aufenthaltsrecht_Stand_5.12.2022.pdf (Dies auch als nachträgliche Verneigung vor unserem verstorbenen Kollegen Volker Maria Hügel, der seine Lesefassungen zu Gesetzesänderungen früher üblicherweise schon rumgeschickt hatte, bevor normale Menschen überhaupt wussten, dass es einen Gesetzentwurf gibt).“
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur AsylbLG-Regelbedarfsstufe in Gemeinschaftsunterkünften
Die „Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e. V.“ informiert
„Am 24. November 2022 hat das Bundesverfassungsgericht bekanntlich eine Entscheidung veröffentlicht, nach der alleinstehende Personen, die Analogleistungen nach § 2 AsylbLG erhalten, Anspruch auf Regelbedarfsstufe 1 statt 2 haben. Die seit September 2019 geltende Rechtslage, nach der in diesen Fällen als „Sonderbedarfsstufe“ nur Leistungen nach Stufe 2 bewilligt werden, ist und war von Anfang an verfassungswidrig. Die Bundesregierung und die Bundestagsmehrheit aus Union und SPD hatte die Einführung der zehnprozentigen Kürzung für Alleinstehende in Gemeinschaftsunterkünften damals damit begründet, dass es sich um „Schicksalsgemeinschaften“ handele, von denen erwartet werden können, dass sie gemeinsam wirtschaften und damit Einsparungen erzielen. Allein: Wie diese vermuteten Einsparungen zustande kommen sollen, konnten Gesetzgeberin und Regierung bis heute nicht ansatzweise belegen. So ganz nebenbei wurde mit der Erfindung einer „Schicksalsgemeinschaft“ übrigens eine metaphysische Kategorie im Sozialrecht etabliert. Das Bundesverfassungsgericht stellte nun fest: „Die Leistungen müssen jeweils aktuell auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren im Ergebnis zu rechtfertigen sein (…). Auch ein politisch ausgehandelter Kompromiss darf nicht zu sachlich nicht begründbaren Ergebnissen führen. Schlicht gegriffene Zahlen genügen ebenso wenig wie Schätzungen ins Blaue hinein den verfassungsrechtlichen Anforderungen, wenn sie nicht wenigstens im Ergebnis nachvollzogen werden können (…)“
Was das nun heißt, ob rückwirkende Zahlungen durchsetzbar sind und was sonst noch zu tun ist, dazu gibt es hier eine Arbeitshilfe: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts: Keine Kürzung der AsylbLG-Regelbedarfe für Alleinstehende in Gemeinschaftsunterkünften – Hinweise für die Praxis.“